Lisa Kränzer | Texte und Zitate

Eröffnung der Ausstellung Lisa Kränzler. Fetzen, Literaturmuseum Karlsruhe, 12. Mai 2016

Rede von Ulrich Loock

„Jemand, der sich für die Arbeit von Lisa Kränzler interessiert, sie seit langem verfolgt und unterstützt, hat mir einmal gesagt, letztlich funktioniere das nicht, zu schreiben und zu malen, man könne nicht als Malerin und ebenso als Autorin ins Extrem gehen. Die Formulierung „ins Extrem gehen“ ist meine, aber ich kann mir vorstellen, meine Freundin habe das gemeint. Ich habe nicht gefragt, warum das nicht beides zusammengehen könne, oder vielleicht habe ich gefragt und die Antwort vergessen. Was mag für die behauptete Ausschließlichkeit verantwortlich sein? Vielleicht die unterschiedliche Ausprägung der geistigen Orientierung: entweder eine überwiegende Orientierung an Verhältnissen des Ortes oder an Verhältnissen der Zeit, eins von beiden. Gemäß der Unterscheidung von Lessing ist im Bild alles auf einmal da, nebeneinander angeordnet, während der Text in einer Folge verläuft. Vielleicht ist es so und man kann nicht zwischen der Orientierung an einer räumlichen und der Orientierung an einer zeitlichen Ordnung hin- und herwechseln, ohne an Bestimmtheit zu verlieren. Ein Eingeständnis dessen könnten im Werk von Kränzler ihre sogenannten Zeichnungen sein, die sie gern zusammen mit ihren Malereien ausstellt und publiziert.

Zu diesen Zeichnungen heißt es in einem Waschzettel, es handele sich um „Arbeiten auf Papier, die mit Schreibmaschine, Stift, Lack und hineincollagiertem Material entstehen.“ Belassen wir es momentan bei dieser Beschreibung. Ich möchte aber jetzt schon den Gedanken ankündigen, dass Kränzlers Arbeit in dem Maß an Stärke gewinnt, in dem sie, die Künstlerin, durch widersprüchliche Verstrickung mit dem Einen und dem Anderen, dem Räumlichen und dem Zeitlichen, Bild und Text, die Unmöglichkeit manifestiert, sowohl bei der einen als auch der anderen Orientierungen des Sinnlichen ins Extrem zu gehen. Meine Hypothese also: Kränzler macht die aporetische Verfassung ihrer Arbeit, Malerei und Text zu sein – ein strukturelles Moment, das unmittelbar auch zu einem Moment der persönlichen Disposition wird – zum einzigartigen Potenzial dieser Arbeit.

Im Bild mit dem violett-rot schillernden Pottwal, dessen Nackenbiegung die bogenförmige Begrenzung des Bildes vorgibt, dominiert das Farbmonster die über-explizite Manifestation des prägnanten Augenblicks, von dem Lessing spricht. Die ausgedehnte Farbfläche führt eine überwältigende Konfrontation des Betrachters oder der Betrachterin mit einer Wand von Farbe herbei und entfaltet eine eigene Macht. Gleichzeitig wird der springende, grinsende, tütenohrige Pottwal zur Karikatur des kairos. Unübersehbar ist die Abhängigkeit dieser Malerei vom Cartoon; diesen wiederum kennzeichnet die Auflösung der räumlichen Ordnung des einzelnen und einzigartigen Bildes durch Bildsequenzen und die Beigabe von zusätzlichen erzählerischen Elementen. Eine Ambivalenz wie die von unmittelbarer Präsenz der Farbe und narrativer Ablenkung wiederholt sich auf der Ebene der materiellen Realisierung. Kränzler malt mit Lack, einer Anstreichfarbe, auf Papier; die gewohnheitsmäße oder professionelle – vielmehr anti-professionelle – Lackierung wird verbunden mit der besonderen Verletzlichkeit des Bildträgers. Insofern sie nicht passen, passen die Dinge; Kränzler ist, was die Malerei betrifft, mit der Aushöhlung von deren Konvention beschäftigt. Sie geht dieser Beschäftigung mit Unverfrorenheit und Rücksichtslosigkeit nach, jedoch ohne Naivität.

Die einzelnen Arbeiten modifizieren die herausfordernde Einstellung zur Malerei in unterschiedlicher Weise. In dem Bild mit drei Kapuzenmännern im Auto treibt Kränzler den Umgang mit dem Cartoon-Format noch etwas weiter, indem sie die Protagonisten mit den Äußerungen einer kaltschnäuzigen Unterhaltung versieht. Einen besonderen Dreh aber erhält diese Malerei dadurch, dass ein Bild des amerikanischen Malers Philip Guston übernommen wird, der seinerseits zu einem bestimmten Zeitpunkt mit seiner spirituellen Malerei des Abstrakten Expressionismus oder Impressionismus gebrochen und ein Inventar klobig-macho-sexueller Versatzstücke für die Exposition von Angst und Begehren generiert hat. Guston wird noch einmal zitiert in einem Bild, das die Malerin in farbbedeckter schwarzer Kleidung zeigt – bemerkenswert ist die Übernahme eines explizit männlichen Rollenmodells, die sich verbindet mit dem wiederkehrenden Bild der eigenen kraftlosen, zur Ausführung der angezielten Aktionen unbrauchbaren Hand.

Kaskaden von Referenzen, konzeptionelle Kehrtwendungen, Umkehrungen der Identität und narrative Aufsplitterungen erschüttern die momenthafte Einheit der Malerei, die zugleich mit malerischer Direktheit und scheinbarer Unbekümmertheit, kurz, einer Praxis des de-skilling reklamiert wird.

Auf der anderen Seite stehen die Romane mit Export A als erstem. Ich werde diese Bücher nicht weiter kommentieren; es würde zu weit führen und vor allem auch zu weit weg von den Bildern in dieser Ausstellung. Um aber eine Symmetrie meines Arguments wenigstens anzudeuten, möchte ich darauf hinweisen, welche bedeutende Rolle in diesen Büchern – am besten erinnere ich mich an das erste – Färbungen und Rahmungen spielen, mit denen Kränzler Verortungen erzeugt, die den Textfluss ins Stocken bringen. Ich meine, dass sich in den Büchern Momente auffinden lassen, die sich als Inversion der Verzeitlichung bildhafter Augenblicklichkeit sehen lassen, wie sie die Malerei bestimmt.

Nun also zu den „Zeichnungen“, die insofern zwischen den Malereien und den Büchern stehen, als in ihnen dauernd zwischen Texten und Bildern, aufgetragenen Farben und maschinegeschriebenen Buchstaben oder Sichtbarem und Lesbarem hin- und hergesprungen wird. Wenn Kränzler in den Malereien und den Büchern kategoriale Bestimmungen gezielt verunreinigt, wird die Hybridisierung des Unvereinbaren in den Zeichnungen bis zur Erschöpfung betrieben. Die Sätze treten in Form unendlicher Deklamationen auf, schwankend zwischen aggressiver Anrede und intimem Bekenntnis, Sentenz und selbstreflexiver Präzision. Rüde ist die Sprache eher im Fäkalbereich als im sexuellen, doch auch Penetrationsansage wechselt mit der Reklamation „horizontalen Satzbaugewerbes“. In der Erwartung, Aufschluss zu gewinnen über die Person, ihr Verhältnis zu anderen und der Welt sowie ihr Verständnis von Malerei und Schriftstellerei, könnte man unendlich zitieren, zitieren auch, weil es scheint, als schließe der Text alle möglichen Äußerungen schon ein – will man gerade, peinlich berührt, eine Absage an den Narzissmus endlosen Schreibens notieren, stößt man unweigerlich auf die Mitteilung eines Ekels vor der Nabelschau. Die Sätze sprechen von ungebremster Entblößung, bieten ein ebenso mitreißendes wie ermüdendes Theater der Hemmungslosigkeit. Doch Striche oder Streichungen, Zensurbalken, die manchmal einzelne Worte oder Satzteile abdecken und manchmal nur wenige Formulierungen verschonen, sind das eigentliche Ereignis der Schrift. Dazu das eben doch unvermeidliche Zitat: „ich schwärze überdecke nicht: ziehe Balken ein.“ Dennoch ist es so, dass die tragende Struktur der „2-dimensionalen sprachschlösser, wortburgen & texttempel für geister“ aus Markierungen eines Fehlens besteht. Damit erscheinen die verbleibenden und weiterhin lesbaren Zeilen nicht in gesteigertem Maße authentisch, sondern, umgekehrt, sie verlieren ihre Transparenz an das Hervortreten von Grauwerten. Die Äußerlichkeit der Schrift wird zum Innersten dessen, was zu sehen und was zu lesen ist.

Diese Arbeiten setzen die Malereien in das Licht von Produktionen, die ihren Grund in der Verhüllung haben. Je mehr sie zeigen und erzählen, desto mehr verbergen sie, oder umgekehrt, was Kränzler hervorbringt, verdankt sich einer Arbeit der Erosion. Der Begriff der Arbeit übrigens ist der einzige, der in den Zeichnungen nicht der Zersetzung verfällt, denn die Arbeit ist eine der Nicht-Produktion.“

 

Städtische Galerie Karlsruhe im kunstportal-bw

09.02. – 07.05.2017

Der Kunstpreis der Werner-Stober-Stiftung für das Jahr 2016 wurde an Lisa Kränzler verliehen. Die Auswahl für dieses Stipendium trafen Mitglieder des Professorenkollegiums an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Lisa Kränzler, 1983 in Ravensburg geboren, studierte seit 2005 Malerei und Grafik an der Karlsruher Kunstakademie. 2012 schloss sie ihr Studium als Meisterschülerin bei Tatjana Doll ab. Die Künstlerin ist seit 2012 auch schriftstellerisch tätig und erzielt mit ihren Romanen beachtliche Erfolge.

Lisa Kränzler in der Städtischen Galerie Karlsruhe im kunstportal-bw

Im Bereich der bildenden Kunst widmet sie sich der Malerei und der Zeichnung. Kränzler gestaltet ihre großformatigen, am gegenständlichen orientierten Gemälde ganz aus der Farbe, wobei die Nähe zum Cartoon deutlich wird. Als Materialien nutzt sie Lack, eine konventionelle Anstreichfarbe, die sie auf Papier aufträgt. „Kränzler ist, was die Malerei betrifft, mit der Aushöhlung von deren Konvention beschäftigt. Sie geht dieser Beschäftigung mit Unverfrorenheit und Rücksichtslosigkeit nach, jedoch ohne Naivität.“ Als verbindendes Element zwischen bildender Kunst und Schriftstellerei können ihre Zeichnungen angesehen werden, „als in ihnen dauernd zwischen Texten und Bildern, aufgetragenen Farben und maschinengeschriebenen Buchstaben oder Sichtbarem und Lesbarem hin- und hergesprungen wird.“ (Zitate: Ulrich Loock 2016)