Kathrin Günter und Tanja Selzer
Séance
9. Januar – 21. Februar 2016
Finissage am 21. Februar 16 – 21 Uhr
I HEARD YOUR VOICE THROUGH A PHOTOGRAPH*
Die Arbeiten von Kathrin Günter und Tanja Selzer in der Ausstellung SÉANCE in der janinebeangallery
einführender Text von Tina Sauerländer
Aberglaube ist nichts anderes als das vorschnelle Annehmen kausaler Zusammenhänge, so Erich Eder. Er liegt nicht falsch, denn Kontext, Kausalität und Korrelation dienen als hermeneutische Schlüssel für das Weltverständnis. Durchkreuzt wird dieses Erkenntnisstreben allerdings von der Unzulänglichkeit der menschlichen Wahrnehmung, die zum Beispiel nur kleinste Bereiche von Tonfrequenzen oder des Lichtspektrums erfassen kann. So sind mysteriöse Phänomene, die wir mit zweifelhaften Erklärungen in eine logische Reihenfolge bringen wollen, vielleicht wirklich nichts anderes als verborgene Kausalzusammenhänge?!
Auf ihrer Erkenntnissuche finden sich Menschen zu einer Séance ein, weil sie hoffen, dass sich das sonst nicht Wahrnehmbare in einer sinnlich erfassbaren Kommunikation manifestiert. Andere würden sagen, dass hier lediglich innere Wünsche und Bedürfnisse nach außen projiziert werden, die wie bei einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung ans Licht treten. In der Ausstellung SÉANCE geht es nun um unsichtbare, innere und äußere Einflüsse, die in den Arbeiten von Tanja Selzer und Kathrin Günter ein Stück weit greifbar werden. Tanja Selzers Gemälde basieren auf Momentaufnahmen, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen wurden. Kathrin Günter vereint Prominente auf Tarotkarten und spielt mit realen, medial vermittelten und erdachten Charaktereigenschaften. In beiden Fällen ist dem Betrachter der Ursprungskontext nicht bekannt, so dass er das Dargestellte aus sich selbst heraus zu entschlüsseln beginnt.
„If you haven’t got it. Fake it!“ leitet Kathrin Günter ihre Arbeit „Celebrity Tarot“ ein, mit der sie Aleister Crowleys Tarot und dessen Kosmos menschlicher Eigenschaften auf die Welt von Britney Spears, George Clooney & Co. überträgt. Jede der 78 Tarotkarten hat die Künstlerin einer bekannten Persönlichkeit zugeordnet und diese in einer digitalen Collage dargestellt. Ein neues, komplexes System entsteht, in dem das vermeintlich reale, dennoch medial vermittelte Abbild der Stars mit dem Bild, das sich die Künstlerin aufgrund dieser Informationen selbst erdacht hat, untrennbar miteinander verbunden ist. In ihrer Serie „The Go-Between“ führt die Künstlerin die Celebrity-Bilder mit der Ästhetik der Psycho- oder Geisterfotografie des ausgehenden 19. Jahrhunderts zusammen, die mit dem Séance-Kult eng verbunden war. So wird aus aktuellen Fotos von Victoria Beckham eine schwarz-silbrige, unscharf verschleierte Version ihrer selbst. Es stellt sich die Frage nach ihrem wahren Abbild und ihrer Identität in der Scheinwelt der medialen Bilderflut. In Zeiten von Social Media trifft das nicht nur auf Prominente zu, denn jeder propagiert dort lediglich ein Bild, eine Version seiner selbst. Identität wird zu einer Maske, die entsprechend des Kontextes gewechselt werden kann.
Aus ihren oft selbst inszenierten filmischen und fotografischen Vorlagen filtert Tanja Selzer den Moment heraus, in dem für einen kurzen Augenblick etwas Besonders zum Ausdruck kommt. Handlungsstränge laufen zusammen oder das Innere der dargestellten Personen tritt hervor. Diesen Moment hält die Künstlerin fest und entzieht ihn dabei seinem ursprünglichen Kontext, der unsichtbar und dennoch spürbar anwesend bleibt. Der Betrachter versucht ihn unwillkürlich aus seinem Inneren heraus zu rekonstruieren um das Gesehene zu erklären: Sitzt da noch jemand im brennenden Lamborghini? Weswegen bittet der Mann mit einem großen Schild um Vergebung? Ist die Frau im weißen Kleid am Strand real oder eine geisterhafte Erscheinung? Wieso hält die geheimnisvolle Schönheit ihre Augen geschlossen? So entsteht eine Lynch-artige Atmosphäre, die in der alltäglichen Normalität etwas spürbar werden lässt, das unsichtbar unter der visuellen Oberfläche schlummert. Vielleicht sind es unterdrückte, negativ besetzte Gefühle der eigenen Persönlichkeit, wie Angst, Schuld oder Scham, die als „schöne Dämonen“ – so bezeichnet Tanja Selzer die ausgestellten Gemälde – auf das Unbewusste im Inneren hinweisen, das wie eine ganz normale, wenn auch unsichtbare Macht äußere Handlungen prägt.
Ob nun Äußeres sichtbar oder Inneres projiziert wird: Aberglaube, Tarot oder Séancen können Erklärungsmodelle liefern, die einer beängstigenden Ungewissheit entgegenwirken, weil sie Kontrolle und Macht vorgaukeln. Denn wer kennt sie nicht, diese seltsamen Situationen, in denen man sich fragt: War da gerade jemand an der Tür? Habe ich eben Stimmen gehört? Verfolgt mich jemand? Die Ausstellung SÉANCE wirft den Betrachter immer wieder auf das Gefühl der Unsicherheit zurück, das sich in den Arbeiten von Tanja Selzer und Kathrin Günter als eine Art Subtext herauslesen lässt.
*aus „Otherside“ (RHCP)